Texte

Jürgen Kisters: Die Natur ganz in Grau, Kölner Stadtanzeiger, 16.11.2017

Grau ist aktuelle die Grundstimmung im Ausstellungsraum Bahr, wo die Künstlerinnen Hiltrud Gauf und Christiane Gerda Schmidt ihre Werke präsentieren. Allerdings ist es nicht das triste Grau, das vielen Menschen Unbehagen bereitet, indem sie unweigerlich die Tendenz zum Depressiven darin vermuten. Vielmehr ist es das Grau der feinsten Nuancen, das wie kein anderer Farbton die Bedeutung von Nuancen überhaupt zum Ausdruck bringt.

So sind die Übergänge, die Christiane Gerda Schmidt (Jahrgang 1966) in einem Waldbild mit Hochsitz sicht- und spürbar werden lässt, genauso zart wie atemberaubend. Mit unzähligen kleinsten Strichen, äußerster Geduld und Genauigkeit hat sie eine realistische Natur-Szenerie geschaffen, die uns die Kleinteiligkeit unserer Wirklichkeit bewusst macht. Das Spannungsfeld von dunklen und hellen Zonen entfaltet das Mysterium einer vielfach verschlungenen Welt, die ebenso abgründig wie harmonisch ist. Mit zeitgemäßer Kraft zeichnet Schmidt in der romantischen Spur eines Caspar David Friedrich. Das Unheimliche auf der einen Seite, die kulturkritische Dimension auf der anderen. Es gibt sie noch, die letzten Territorien, in denen wir eine Nähe zur äußeren Natur verspüren, die zugleich in uns selber ist. Allerdings verkörpern der Hochsitz und abgesägte Baumstämme, dass diese Natur ganz schön komisch geworden ist im Zeichen der modernen Kultivierungen des Menschen.
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Prof. Dr. Sabine Schrader, 2009

Zwei Mädchen am Brunnen, ein Wohnwagen im Grünen, Menschen am Fluss… . Idyllen sind kleine Bilder, die sehr statisch eine unschuldige, beschauliche und selbstgenügsame Geborgenheit darstellen. Christiane G. Schmidts Bilder erzählen auf den ersten Blick von dieser Sehnsucht nach Harmonie in der Natur. Auf den zweiten Blick jedoch offenbart sich der Inszenierungscharakter und damit die Künstlichkeit des Idylls. Schmidt lenkt dabei auch den Blick auf unseren städtischen Alltag, in dem überall scheinbare Insel-Idyllen zu finden sind. Man denke an die zahlreichen ‚implantierte Kleinst­vegetationen‘, die sich im eigenen Vorgarten oder auf den Straßen und Plätzen in Blumenkübeln und Waschbeton­kästen zeigen. Idyllische Landschaften begegnen uns aber vor allem medial, sie werden auf Werbeplakate oder in Werbe­filmen als unberührte Natur und damit als Projektion unserer Sehnsüchte fern der Zivilisation gepriesen.

In den Arbeiten von Christiane G. Schmidt wird die Paradoxie unserer Sehnsucht nach dem Idyll bildhaft. Ein Paradox, das Hans Magnus Enzensberger in seinem Tourismus-Essay von 1958 so prägnant wie einfach beschrieben hat: „Indem wir finden, was wir suchen, zerstören wir es”. So malt die Künstlerin die touristische Überfrequen­tierung, die Eingriffe in die Natur, wie sie durch Hotelbauten, Ausflugs­lokale, Seilbahnen, Kunstschnee-Anlagen, Zufahrtsstraßen und Abflughallen ent­stehen. Und sie malt noch etwas anderes, was Enzensberger einst beschrieb, nämlich die Vergeblichkeit der Suche, der sich eigentlich die Menschen heute bewusst sind.

Die Szenerien ihrer Gemälde sind mitunter menschenleer, sie wirken verlassen. In anderen Arbeiten stehen die Figuren am Rand, kehren uns den Rücken zu oder werden in gesichtslosen Gruppen angeordnet. Sie werden nicht portraitiert, sondern erfahren eine Ent-Individualisierung – letztlich wie die Orte, die nicht erlebt, sondern vielmehr nur konsumiert werden.

Um diese Atmosphären einzufangen, greift Christiane G. Schmidt zunächst auf ein wesentliches Vehikel des Reisens bzw. der Erinnerung daran, zurück. Vielen Arbeiten geht die Fotografie voraus, was eine erste Distanzierung zum dargestellten Objekt zur Folge hat. Es handelt sich meist um eigene Aufnahmen, die inzwischen einen reichen Fundus darstellen, aus dem sich die Künstlerin bedient und den sie regelmäßig erweitert und immer wieder neu durchforstet. Die Foto­grafie wird gezielt am Computer bearbeitet, dann erfolgt die malerische Umsetzung auf der Leinwand, wobei dieser Arbeitsschritt erneut mit einer gewollten Distanz zur Vorlage einher geht. Für die Künstlerin ist dies der spannendste Moment im Entstehungsprozess, da er einen intuitiveren Zugang zum Bild ermöglicht, der Moment, in dem das Bild seine Autonomie erhält: Landschaft und Architektur werden abstrahiert, in Flächen so aufgeteilt, das sie fast unabhängig voneinander funktionieren bzw. in ein abstraktes Muster übersetzt werden können. Beim nahen Betrachten scheint sich das Bild in Flächen und Muster aufzulösen. Monochrome Flächen existieren neben Farbschlieren, etwas gröber gesetzter Farbe, die ein wenig verläuft; die Malerei verweist auf ihr Material und der Malprozess wird sichtbar.

Fotografie und Malerei sind Medien, die oftmals als konkurrierend wahrgenommen wurden, die sich hier jedoch – auf unterschiedliche Art und Weise – bedingen. Gerade das malerische Verfahren potenziert dann auch den Verfremdungseffekt, der zwi­schen dem anfänglichen, ‚realistischen’ Motiv, der Fotografie, ihrer Bearbeitung und dem gemalten Bild entsteht und der der jeweiligen scheinbar so unschuldigen Szene ein melancholisches, ironisches oder manchmal fast auch ein zynisches Antlitz verleiht.

In den Zeichnungen, die sich ebenfalls mit der Sehnsucht und folgerichtig mit dem ‚Unterwegs‘ (aber auch dem Zuhause) auseinandersetzen, experimentiert Christiane G. Schmidt wiederum mit mehreren Materialien: Dem Bleistift verdankt sie die Flüchtigkeit, konterkariert von der Tusche, die hier nach Konturen und Statik strebt und mit der Acrylfarbe setzt sie farbliche Akzente, die eine etwas eigenartige, fremde Stimmungen schaffen. Und so erfährt auch hier der Betrachter die ‚vergebliche Brandung der Ferne‘.

Enzensberger, Hans Magnus (1962), Eine Theorie des Tourismus, in: Einzelheiten, hrsg. v. Enzensberger, Hans Magnus, Frankfurt 1962, S. 147-168. Erstmals: Vergebliche Brandung der Ferne. Eine Theorie des Tourismus, in: Merkur, 12. Jg., 1958, S. 701-720. Zuletzt wieder abgedruckt in einem Sommerheft von: Universitas, 42. Jg., 1987, S. 660-676, und auf englisch in: New German Critique, 68. Jg., 1996, S. 117-135, mit Introduction von G. Gemunden (S. 113-115). (Auswahl-)Übersetzungen der ‘Einzelheiten’ erschienen in schwedisch 1964, französisch 1965, italienisch 1965, spanisch 1969, japanisch 1970, niederländisch 1974 und englisch 1974.